Bei der Trauer geht es um den Tod. Beim Verlust kann es um den Tod eines geliebten Menschen gehen, aber auch um den Verlust seines Lebenspartners, zum Beispiel an einen anderen Menschen, um den Verlust der Arbeitsstelle oder auch um den Verlust eines Haustiers. Verlust hat etwas zu tun mit einer Änderung im eigenen Leben und mit dem Wegfall von etwas, was man liebgewonnen hatte.
Verlust und Selbstaufgabe
Das Gefühl des Verlustes ist vollkommen gerechtfertigt, normal und nichts Schlechtes oder Verwerfliches. Verlust bedeutet, dass sich, zumeist ohne eigenes Zutun, das eigene Leben zum scheinbar negativen wendet, dass ein gewohnter Mensch oder eine gewohnte Routine nicht mehr da ist. Verlustgefühle bringen Menschen dazu, mit dem Schicksal zu hadern, insbesondere mit dem eigenen.
Schlimm wird es dann, wenn sich Menschen im Verlust selbst verlieren. In den letzten Jahren haben wir einige Fälle von Selbstaufgabe erfahren, bei denen die Betroffenen sich von der Außenwelt abschotten, und genau dann muss etwas getan werden.
Typische Sätze
Einige typische Sätze, die nicht mit Trauer sondern mit Verlust zusammenhängen, sind zum Beispiel:
“Immer lasst Ihr mich allein.”
“Ich bin ja eh nichts mehr wert.”
“Wann warst Du denn zum letzten Mal am Grab?”
“Du kümmerst Dich ja nicht um mich.”
“Immer bin ich allein.”
“Das waren die Ärzte schuld, dass … jetzt tot ist.”
“Jetzt kann ich ja wohl verlangen, dass man sich um mich kümmert.”
Kommen Dir diese Sätze bekannt vor? Was ist der Sinn hinter solchen Aussagen, und was haben diese Sätze gemeinsam?
Sie drehen sich nicht um den, der gestorben oder gegangen ist, sondern allein um den, der diese Sätze äußert.
Den Verlust überwinden
Als Lucas gestorben ist, habe ich selbst so gedacht. Der Schmerz, Lucas nicht mehr in meinem Leben zu haben, war fast schon groß wie der Schmerz, dass Lucas sterben musste. Die Trauer um Lucas ist etwas, das bleiben wird, immer, und das weiß ich. Wenn ich einen Film sehe, Musik höre oder Menschen begegne, die Lucas gemocht hätte, dann ist er da, der Schmerz, und was ich lernen muss, ist damit zu leben. Das ist die Trauer.
Der Verlust ist etwas, das ich überwinden musste. Es ist der Schmerz, Lucas nicht mehr an meiner Seite zu haben. Dieser Schmerz wäre, natürlich in leichterer Form, auch dann gekommen, wenn Lucas für ein Studium oder eine Arbeitsstelle in eine andere Stadt oder vielleicht sogar in ein anderes Land gezogen wäre. Sicher, wir hätten telefonieren und uns gegenseitig besuchen können, aber Lucas hatte sein Leben, und er hätte alles daran getan, es zu meistern. Was ich ihm hätte bieten können wäre hin und wieder ein Rat und ein Hafen gewesen, auf den er sich in stürmischen Zeiten hätte verlassen können.
Verlust ist unfair
Ich habe Lucas auf sein Leben vorbereitet, so gut ich es konnte, und zum Schluss habe ich versucht, ihn auf den Tod vorzubereiten, so gut ich es konnte. Beides konnte ich wahrscheinlich nicht besonders gut, aber ich habe mir so viel Mühe gegeben, wie es mir möglich war. Verlust bedeutet immer, dass jemand oder etwas nicht mehr da ist. Und es ist immer schwer, damit zu leben, wenn man es geliebt oder sich zumindest daran gewöhnt hat.
Verlust kann unfair sein, und auch Menschen, die etwas oder jemanden verloren haben, können unfair sein. Sprüche wie “Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht irgendwo anders eine Tür auf.” mögen richtig sein, aber im Moment des Verlustes versteht man sie nicht, und lange Zeit danach auch nicht. Verlust hat mit der Suche nach Schuld zu tun, aber auch mit der Suche nach Hilfe. Und diese Hilfe kann man nicht einfordern. Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, dann gibt es für den Verlust genauso wenig Hilfe wie für die Trauer. Menschen, die zuhören sollen, dürfen nicht zum Zuhören gezwungen werden, sondern sie müssen zuhören wollen.
Zuhörer finden
Diese Menschen gibt es. Vielleicht gibt es sie nicht unter Deinen Freunden, Nachbarn oder Verwandten, aber es gibt sie unter denen, die es durch den rauen Wind, durch den Du vielleicht gerade segelst, geschafft haben. Wer kann sich denn hineinversetzen in jemanden, der gerade sein Kind verloren hat, wenn nicht jemand, der selbst ein Kind verloren hat? Wer kann sich denn hineinversetzen in jemanden, der gerade von seinem Partner verlassen wurde, wenn nicht jemand, der selbst bereits verlassen wurde? Wer findet Worte, wo Worte nicht ausreichen, wenn nicht jemand, der genau dieses Gefühl kennt?
Das Leben ist schön. Es ist sogar wunderschön. Wer es gerade als wunderschön empfindet, möchte vielleicht nicht daran erinnert werden, dass es auch an manchen Tagen grausam sein kann. Aber vielleicht ist gerade dieses Auf und Ab, dieser Wechsel, dieses Gewinnen und Verlieren, dieses Hinfallen und wieder Aufstehen genau das, was das Leben so wunderschön macht. Viel zu oft vergessen wir das. Und wenn wir dann etwas oder jemanden verlieren, dann zeigt uns das Leben, dass es nur dann wunderschön sein kann, wenn es auch Schatten zeigt. Licht wäre unbedeutend ohne Dunkelheit.
Trauer besteht ewig, aber man lernt, sie zu ertragen. Verlust ist normal, wenn er eine Zeitlang andauert, und wenn wir uns danach daran erinnern, dass da draußen ein Leben auf uns wartet. Ein Leben, das viele liebe und geliebte Menschen nicht mehr haben. Und genau deshalb trauern wir. Wenn sie uns aber von irgendwo her zuschauen sollten, dann sollten wir ihnen zeigen, dass wir nicht auf das spucken, was sie verloren haben.